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Krise, Krieg und Buy-out

Nur zehn Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs brach die schlimmste Wirtschaftskrise der modernen Zeit aus. In Deutschland und den Vereinigten Staaten, den beiden grössten Volkswirtschaften der Welt, erreichte die Arbeitslosigkeit 1932 mehr als 20 Prozent. Banken brachen zusammen, Währungen werteten dramatisch ab, Zollmauern wurden errichtet, und der internationale Handel implodierte. Der britische Historiker Arnold Toynbee schrieb 1932, dass zum ersten Mal Männer und Frauen überall auf der Welt offen über die Frage diskutierten, „ob das westliche Gesellschaftssystem zusammenbrechen würde“.

Die Schweiz war stark betroffen von den weltwirtschaftlichen Turbulenzen. Der Export brach um 50 Prozent ein, mehrere Grossbanken drohten insolvent zu werden, die lange Krise brachte rekordhohe Arbeitslosigkeit. Bund und Nationalbank mussten Banken vor dem Zusammenbruch bewahren, um eine systemische Bankenkrise zu verhindern. Erst mit der Abwertung des Schweizer Frankens im Herbst 1936 gelang es, sich aus den Schlingen der Krise zu befreien.

Besitzer in Not

Erstaunlicherweise hatte die Weltwirtschaftskrise für die Allgemeine Treuhand AG kaum direkte Folgen. Zwar gingen die Umsatzzahlen leicht zurück, die ausgewiesenen Gewinne waren aber durchschnittlich gar höher als im Boom der 1920er-Jahre. Der Verwaltungsrat verfasste den Bericht für das Jahr 1932 in den Tagen der Weltwirtschaftskonferenz in London, an der Rezepte zur Bewältigung der weltweiten Depression diskutiert wurden. Er betonte die „katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse“ – die Schweizer Wirtschaft erreichte in diesem Jahr den Tiefpunkt – , konnte aber „trotz der schwierigen Zeitläufe mit Befriedigung auf das verflossene Geschäftsjahr zurückblicken“. Auch wenn einige Kunden anscheinend dazu tendierten, Ausgaben für Beratung in schwierigen Zeiten aufzuschieben, um kurzfristig Kosten zu sparen, fand die Allgemeine Treuhand AG auf allen Gebieten „ausreichend Beschäftigung“. Das wirtschaftliche Malaise beeinflusste die Entwicklung der „Treuhand“ aber auf indirekten Wegen. So geriet die Basler Handelsbank in der Krise in Bedrängnis. Nachdem sie 1930 mit 835,9 Millionen Franken Bilanzsumme und 100 Millionen Aktienkapital ihren Höhepunkt erreicht hatte, wurde ihr die deutsche Bankenkrise zum Verhängnis. In hohem Masse hatte sie Kredite nach Deutschland vergeben. Nachdem die deutsche Regierung als Reaktion auf verstärkte Geldabflüsse im Sommer 1931 mit einem Kapitaltransfermoratorium reagiert hatte, kämpfte die BHB mit massiven Zahlungsausfällen. Schädlich war auch die Verhaftung zweier Mitarbeiter im Oktober 1932 in Paris, die französischen Klienten bei der Steuerhinterziehung behilflich waren. Und als Folge der Abwertung des belgischen Francs im Frühling 1935 litt die BHB unter einem beträchtlichen Abzug von Fremdgeldern. Da die Allgemeine Treuhand AG sowohl bei der Basler Handelsbank als auch bei deren Tochterunternehmen als Kontrollstelle arbeitete, fiel den Treuhandrevisoren bald auf, dass ihre Mutterbank „auf dem Weg über die Industriebank und einen Treufonds eigene Aktien aufkauft[e],“ um deren Kurs zu stützen. Diese Massnahme schlug allerdings fehl. Die Kurse sanken weiter, weshalb man mit den Stützungsmassnahmen aufhörte und der Aktienkurs der BHB auf fünf Prozent des Nominalwertes fiel. Um den Konkurs abzuwenden, beantragte das Institut 1935 beim Bundesrat den Fälligkeitsaufschub und musste schliesslich reorganisiert werden. Das Aktienkapital wurde auf 13,95 Millionen Franken reduziert, der Nennwert einer Aktie neu auf 100 Franken festgelegt.

Dass von nun an die Allgemeine Treuhand AG ihrerseits für 50’000 Franken Aktien der Besitzerin hielt, veranschaulicht eine gewisse Verschiebung des Machtverhältnisses zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft. Die Handelsbank ihrerseits warf der „Treuhand“ vor, sie habe sich in den letzten Jahren immer mehr vom Mutterinstitut entfremdet und auch angefangen, direkt mit anderen Banken Geschäfte zu führen. In einem „Exposé betr. Aktien der Allgemeinen Treuhand AG“ wurde 1935 seitens der Handelsbank festgehalten, dass man die vollständige Liquidation der Bank nicht ausschliessen könne und sich deshalb überlegen solle, was mit den Aktien der „Allgemeinen Treuhand“, die sich „zu einem angesehenen Institut“ entwickelt habe, in diesem Fall geschehen würde. Vonseiten der „Treuhand“ äusserte man die Idee, dass Leute aus dem Verwaltungsrat, der Direktion und der nahen Kundschaft der BHB die Aktien der „Treuhand“ abkaufen könnten. Der Vorschlag stiess aber bei der Handelsbank vorerst auf taube Ohren.

Krisengesetze

Als weitere Folge der Krise veränderte sich die Revisionstätigkeit durch gesetzliche Regulierungen. Die Bankenkrise, in der neben der BHB noch fünf andere schweizerische Grossbanken saniert werden mussten, offenbarte regulatorischen Handlungsbedarf, der sich im Bankengesetz von 1935 niederschlug. Auch die Revision des Aktienrechts von 1936 stand im Zeichen der Krise. Beide Gesetzesnovellen beeinflussten die Treuhand- und Revisionsbranche in bedeutendem Mass: Kurzfristig führten sie zu vermehrten Aufträgen, da die Unternehmen bei der Anpassung an den neuen regulatorischen Rahmen oftmals Rechtsberatung in Anspruch nahmen. Langfristig erhöhten sie die Nachfrage nach professioneller Buchprüfung und das Ansehen des Berufsstandes. „Erst das Inkrafttreten des Bankengesetzes und des revidierten Obligationenrechtes verschaffte den Treuhandgesellschaften und Revisionsverbänden den heute mächtigen Auftrieb“, schrieb dazu 1939 der Sekretär der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK), Paul Graner.

Im neuen Aktienrecht war festgehalten, dass die Kontrollstelle nun keine bloss formelle Prüfung mehr durchführen konnte, sondern es bestand eine materielle Prüfungspflicht, welche auch die Kontrolle der angewandten Bewertungsgrundsätze verlangte. Somit wurde kodifiziert, was die Allgemeine Treuhand AG seit Langem praktizierte; bereits 1922 hatte man entschieden, keine Aufträge mehr entgegenzunehmen, bei denen es nur darum ging, zu prüfen, ob die Bilanz mit den Büchern übereinstimmte. Dazu wurde eine von Büchersachverständigen durchgeführte Pflichtprüfung eingeführt. Diese betraf Aktiengesellschaften, die ein Grundkapital von mindestens fünf Millionen Franken besassen oder Anleiheobligationen ausstehend hatten. Die Büchersachverständigen mussten dabei an den Verwaltungsrat und an die Kontrollstelle, nicht aber an die Aktionäre Bericht erstatten. Das Bankengesetz von 1935 verpflichtete alle Banken, ihre Jahresrechnungen durch eine ausserhalb des Unternehmens stehende Revisionsstelle prüfen zu lassen. Als solche Revisionsstellen sah man ausschliesslich Treuhandgesellschaften und Revisionsverbände vor, die von der neu gegründeten Eidgenössischen Bankenkommission (EBK) anerkannt waren. Einzelrevisoren wurden ausgeschlossen. Selbstredend war es auch für die Allgemeine Treuhand AG erstrebenswert, die Anerkennung der EBK für die Bankenprüfung zu erhalten. Allerdings kam ihr dabei Artikel 20 des neuen Bankengesetzes in die Quere. Dieser besagte, dass der Revisionsstelle Vermögensverwaltung und Besorgung von „eigentlichen Bankgeschäften“ nicht gestattet sei. Dieser Punkt war im Nationalrat von Bankenvertretern vorgeschlagen worden, die so verhindern wollten, dass Konkurrenzbetriebe einen Einblick in die Bücher der Banken erhielten. Die Vereinbarkeit der historisch gewachsenen Dienstleistungskombination der Bank-Treuhandgesellschaften wurde somit erstmals von einem Gesetz eingeschränkt.

„Unsere Gesellschaft sieht sich daher vor die Alternative gestellt,“ schrieb die Direktion im Mai 1935 an die Mitglieder des Verwaltungsrats, „entweder einen Grossteil ihres Geschäftskreises, d.h. die Vermögensverwaltung, aufzugeben, um die Anerkennung als Revisionsinstitut zu erhalten, oder aber eine besondere Revisionsgesellschaft zu gründen, die sich speziell mit der Kontrolle der Banken im Sinne des zitierten Bundesgesetzes beschäftigen würde.“ Da man auf die Einnahmen aus der Vermögensverwaltung nicht verzichten wollte, entschied man sich für die zweite Variante und gründete noch im selben Jahr die Kontroll & Revisions AG (Koreag) für den Bankenbereich. Von den direkten Konkurrenten der „Treuhand“ gab lediglich die der Bankgesellschaft nahestehende Schweizerische Revisionsgesellschaft die Vermögensverwaltung auf, um direkt als bankenrechtliche Revisionsstelle anerkannt zu werden. Zum Direktor der Koreag wählte man Hans Müller, der bis dahin als Prokurist bei der Allgemeinen Treuhand AG gearbeitet hatte. Die Anfänge der Bankenprüfung waren jedoch harzig. Zwar erhielt die Koreag 1935 die Konzession der Bankenkommission, zwei Jahre später aber bemängelte die EBK die Personal- und Büroverbindungen zwischen „Treuhand“ und Koreag – die Koreag hatte keine eigenen Angestellten – und verzögerte so den Beginn der erfolgreichen Tätigkeit in der Bankenprüfung, die erst nach dem Krieg Fahrt aufnehmen sollte.

Abgesehen davon wurde die Revisionsbranche nicht reguliert. In den beiden Gesetzesnovellen wurde lediglich festgehalten, dass der Revisor zwar Aktionär, nicht aber Mitglied des Verwaltungsrates oder Angestellter einer Gesellschaft sein durfte, um eine gewisse Unabhängigkeit der Prüfenden sicherzustellen. Mit der „Kammer für Revisionswesen“, die 1925 aus dem „Verband Schweizerischer Bücherrevisoren“, den bedeutendsten Treuhandgesellschaften und den Revisionsverbänden der Banken und Sparkassen gegründet worden war, bestand allerdings ein wirksames Organ der Selbstregulierung. Die Kammer führte strenge Examen durch, um den Titel des Revisors mit einem Diplom zu schützen und somit „den wilden Revisoren entgegenzutreten“. Politisch hatte sie sich für eine Verstärkung der Kontrolle von Aktiengesellschaften engagiert. Ausserdem vereinbarten die Treuhandgesellschaften über die Kammer Minimaltarife für Honorare, an die sich die Mitglieder halten mussten. 1936 wurde der Titel des diplomierten Bücherexperten berufsrechtlich geschützt. 1939 verstarb Josef Kaufmann, Verwaltungsratspräsident und erster Direktor der Allgemeinen Treuhand AG. Als Nachfolger für das Präsidium wurde Dr. Manfred Hoessly gewählt, der 1919 als Prokurist angestellt und seit 1923 Direktor gewesen war. Mittlerweile waren Hans Weibel und Werner Bosshard in Basel sowie Ernst Wälti in Zürich Direktoren der Allgemeinen Treuhand AG. Im Verwaltungsrat sassen neu neben Hoessly auch der Basler Architekt J.J. Egon Vischer und Robert La Roche, Präsident der Schweizerischen Bankvereinigung und ehemaliger Kontrollstellenrevisor der „Treuhand“, als Vertreter der Handelsbank.

Krieg und Staatsaufträge

Kaum war die Weltwirtschaftskrise überwunden, begann im September 1939 der Zweite Weltkrieg. Die Allgemeine Treuhand AG war unmittelbar davon betroffen, da es wegen der Mobilmachung bald zu Personalengpässen kam. Und weil man die Saläre nicht im entsprechenden Mass reduzieren konnte, resultierte aus der Personalknappheit eine erhebliche Gewinneinbusse. Um ein gutes Geschäftsergebnis ausweisen zu können, aktivierte die Gesellschaft 1943 stille Reserven, über die man seit Jahren in Form von ausstehenden Rechnungen verfügte (und diese auch in den Steuererklärungen auswies). Die Nachfrage nach den Dienstleistungen der Treuhand aber brach auch in Kriegszeiten nicht ein. „Wir können im Gegenteil mit Genugtuung feststellen“, hiess es im Geschäftsbericht des Jahres 1939, „dass trotz der Ungunst der Zeiten unsere Tätigkeit auf keinem unserer mannigfachen Gebiete gelitten hat.“ Im selben Jahr verlegte man den Hauptsitz der Firma zwischenzeitlich weg von Basel an der deutschen Grenze nach Genf zur dortigen Handelsbankfiliale. Die Kriegswirtschaft, in welche der Staat über Kontingentierung und Rationierung aktiv in die Ressourcenverteilung eingriff, brachte nicht nur Beratungsbedarf aufgrund neuer Steuern, sie schuf für Unternehmen auch Probleme in der Preisanpassung und Kostengestaltung, warf also auch Fragen nach betrieblichen Massnahmen auf, die externe Beratung nahelegten. Ebenso verhalf sie der „Treuhand“ zu neuen Kunden: öffentlichen Körperschaften. In den Geschäftsberichten wies man während des Krieges auf zahlreiche Fälle von „Veruntreuung und Unregelmässigkeiten“ hin und forderte mitunter, „die öffentlich rechtlichen Institutionen, wie Universitäten, Schulen, Spitäler, einer periodischen fachtechnischen Kontrolle“ zu unterstellen. Dies entspreche schlicht dem „Gebot staatswirtschaftlicher Vorsorge“. Die Forderungen waren erfolgreich. Als „besonders erwähnenswertes Moment“ strich die Führung der Allgemeinen Treuhand AG im Geschäftsbericht von 1947 hervor, dass sie nun Aufträge der Behörden „zur Organisation öffentlicher Verwaltungen, die jeweilen auch mit Revisionsarbeiten verbunden waren“, erhalten habe und in den folgenden Jahren habe ausbauen können. Auch die Einführung der AHV 1947 führte zu vielen Beratungsaufträgen. Der Fokus auf die öffentliche Hand war mit ein Beweggrund, einen dritten Sitz zu gründen, und zwar in der Bundeshauptstadt Bern. Von hier aus, so die Überlegung, konnte man auch die ­französischsprachige Schweiz besser bearbeiten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten fand man mit Hans Müller, dem bisherigen Direktor der Koreag und stellvertretenden Direktor der Allgemeinen Treuhand AG, den richtigen Mann und gründete auf den 1. April 1944 an der Schauplatzgasse 23 in Bern eine neue Zweigstelle. Vier Jahre später wurde ein Nachbargebäude, die Nr. 11, dazugekauft. In derselben Periode gelang es zudem, in Basel die Liegenschaft am Aeschengraben 11 zu erwerben. Somit wurde ein Ziel erreicht, das man sich bereits 1934 gesteckt hatte, nämlich am Aeschengraben – der kommenden „Fifth Avenue von Basel“, wie Verwaltungsratspräsident Manfred Hoessly es ausdrückte – einen zusammenhängenden Häuserblock zu erwerben.

Manager werden Besitzer

Das Kriegsende brachte ein Ereignis mit sich, das die ATAG – mittlerweile taucht vermehrt dieses Kürzel in den Quellen auf – wesentlich prägte. Die Basler Handelsbank war endgültig „Opfer eines viel zu grossen Vertrauens auf eine friedliche Aufwärtsentwicklung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg“ geworden, wie es die „Finanz-Revue“ wohlwollend ausdrückte. Mit dem „Deutschen Reich“ brachen am 7. Mai 1945 auch der Kapitalverkehr und schliesslich die Handelsbank selbst zusammen. Im Oktober übernahm der Schweizerische Bankverein, der alte Rivale der Handelsbank und Besitzer der Schweizerischen Treuhandgesellschaft (STG), sämtliche nicht transferbeschwerten Aktiven der BHB. Dazu gehörten die Aktien der Allgemeinen Treuhand AG, welche – neben jenen der Firma Roche – in den Verhandlungen zwischen Handelsbank und Bankverein als wertvollstes Aktivum bezeichnet worden waren.

Nun sah Verwaltungsratspräsident Hoessly die Gelegenheit gekommen, einen Management-Buy-out auszuhandeln. Der Bankverein aber betrachtete es „als in seiner Geschäftspolitik liegend“, die Aktien der Allgemeinen Treuhand AG zu behalten und zwei Mitglieder in den Verwaltungsrat zu entsenden. Die ATAG sollte dann parallel neben der STG, welche die grösste Treuhandgesellschaft des Landes war, geführt werden. Dagegen sprach zum einen, dass der Verwaltungsrat der ATAG gemäss Artikel 5 der Statuten die Eintragung ins Aktienbuch ohne Angaben von Gründen verweigern konnte. Zum anderen machte Hoessly gegenüber dem Verwaltungsratspräsidenten des Bankvereins Rudolf Speich-Jenny, mit dem er befreundet war, deutlich, dass die Weiterführung der „Treuhand“ im Besitz des Bankvereins „seitens der massgebenden Persönlichkeiten bei der ATAG nicht akzeptiert werde und dass die Folge dieser Geschäftspolitik die Liquidation der ATAG wäre.“ Tatsächlich hatte die Belegschaft der Filiale Bern, die ein Jahr nach der Gründung mit 20 Mitarbeitern bereits grösser war als der Sitz in Zürich, nach der Übernahme der ATAG durch den Bankverein geschlossen auf Jahresende gekündigt. Hoessly hatte ausserdem in Bern die Firma La Gérance gegründet. Wären die Verhandlungen mit dem Bankverein gescheitert – so der Plan –, hätte man einen Grossteil der Leitung nach Bern verlegt und die Sitze Basel und Zürich lediglich als Filialen der neuen Gesellschaft laufen lassen. „Der Schweizerische Bankverein sah sich derart vor die Situation gestellt, dass […] ihm, falls er darauf bestand, die Aktien nicht aus der Hand zu geben, voraussichtlich nur die Liquidation der Gesellschaft übrig blieb“, erklärte Hoessly später dem Verwaltungsrat. So entschieden die Verantwortlichen des Bankvereins, sich von Hoessly eine Offerte für die ATAG-Aktien machen zu lassen. Für alle 915 Aktien einigte man sich auf einen Gesamtpreis von 950’000 Franken. Hoessly kaufte sämtliche Anteilscheine auf eigenen Namen. 300 der erworbenen Aktien verkaufte er kurz darauf dem Basler Musikmäzen Paul Sacher, der, verheiratet mit der Roche-Erbin Maja Hoffmann-Stehlin, auch im Verwaltungsrat des Chemieunternehmens sass. Sacher entsandte daraufhin seinen Vertreter, den Fabrikanten Alfred Von der Mühl, in den Verwaltungsrat der Allgemeinen Treuhand AG. Dieser übernahm den Sitz seines Schwagers, des Bankiers Robert la Roche, der 1945 verstorben war. Ebenso wurde Walther Weyermann, Sekretär des Handels- und Industrievereins, neues Mitglied und bereits 1943 war Paul Haas, ein eng mit Manfred Hoessly befreundeter Wirtschaftsberater aus Bern, ins Verwaltungsratsgremium gewählt worden.

Mit dem Loskauf aus dem Bankverein lag die Aktienmehrheit der Allgemeinen Treuhand AG im Besitz des Verwaltungsratspräsidenten Manfred Hoessly. Der Umstand, dass sich die ATAG der Übernahme durch den SBV widersetzte, zeigt, dass gegenüber dem noch von Josef Kaufmann gelobten Satellitenverhältnis zwischen Grossbank und Treuhandgesellschaft, das sich sowohl durch Mandatsvermittlung durch das Mutterinstitut als auch durch Abhängigkeit von diesem auszeichnete, Alternativen bestanden.

Hoessly hatte nun die Idee, dass der Erfolg des Unternehmens den Mitarbeitenden zugutekommen sollte. Dazu beschloss der Verwaltungsrat 1946, den dienstältesten Angestellten je eine Treuhand-Aktie schenkungshalber zu überlassen. Bis 1951 machten 47 Mitarbeitende von diesem Angebot Gebrauch, darunter drei Frauen. Angestellte der ATAG wurden damit am Erfolg des eigenen Unternehmens beteiligt, wenn auch vorerst symbolisch mit je einer Aktie. Die Mehrheit der Anteilscheine aber wollte Präsident Hoessly nicht einem „ungewissen Schicksal“ überlassen, sondern in einer Stiftung verankern. Dazu kam es schliesslich 1958, als die Direktion ihm zu Ehren die Dr. Manfred Hoessly-Stiftung, welche die Wohlfahrt des Personals zum Zweck hatte, ins Leben rief. Auch gründete man ab 1942 weitere eigene Fürsorgeeinrichtungen, weil die Pensionskasse der Basler Handelsbank mit der Teuerung nicht Schritt halten konnte.

Dr. Manfred Hoessly blickte 1948 an der 80. Sitzung des Verwaltungsrats am Aeschengraben 9 auf das bisher Erreichte zurück. Die Gesellschaft hatte mittlerweile 134 Mitarbeiter an drei Sitzen und war mit 2’389’458 Franken Dienstleistungsertrag hinter STG und Fides das drittgrösste Treuhandinstitut der Schweiz. Hoessly war der Ansicht, „dass damit der Höhepunkt der Entwicklung erreicht sein dürfte, und zwar auch was den Sitz Bern anbelange. Mit einer weiteren erheblichen Zunahme des Geschäftsvolumens könne wohl nicht mehr gerechnet werden.“ Eine arge Fehlprognose, wie sich zeigen sollte.