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Volatilität und Wachstum

Das 21. Jahrhundert begann dramatisch – mit einem Börsencrash in den Jahren 2000 bis 2002, dem Terroranschlag vom 11. September 2001 und zwei militärischen Interventionen im Mittleren Osten. In der Schweiz löste das Grounding der Swissair Group im Oktober 2001 einen grossen Schock in Politik und Wirtschaft aus. Gleichwohl blieb der Trend zur weltwirtschaftlichen Integration ungebrochen. China trat im Dezember 2001 in die Welthandelsorganisation ein. Der Anteil des Welthandels an der globalen Wertschöpfung nahm weiter zu, die nationalen Kapitalmärkte verschmolzen immer mehr zu einer einzigen Plattform. Die Erde wurde noch flacher.

Auch die internationale Regulierung unter angelsächsischem Stern schritt weiter voran. Der Börsencrash verstärkte diesen Trend sogar, da er von mehreren Bilanzskandalen begleitet war, die nach einer besseren staatlichen Überwachung riefen. Enron und Worldcom in den USA, Comroad und Holzmann in Deutschland und Parmalat in Italien waren die bekanntesten Fälle im Ausland. In der Schweiz sorgten Fehlbilanzierungen beim MedTech-Unternehmen Jomed, bei der Erb-Gruppe sowie bei den Kantonalbanken Genf und Waadt für Diskussionen. Von entscheidender Bedeutung für die Prüfungs- und Beratungsbranche war der „Fall Enron“. Denn mit dem amerikanischen Energiekonzern fiel auch seine Revisionsstelle – Arthur Andersen – als Folge einer Anklage wegen Justizbehinderung auseinander. So blieben mit PWC, KPMG, Ernst & Young und Deloitte nur noch vier „Grosse“ übrig. Das Vertrauen in die Wirtschaftsprüfung war erschüttert, und als Konsequenz wurde die Branche weltweit umfassend reguliert. Die Vereinbarkeit von Revisions- und Beratungsdienstleistungen beim selben Kunden wurde stark eingeschränkt.

Eine weitere Schockwelle löste der Fall von Lehman Brothers im September 2008 aus. Den Finanzmärkten drohte der Infarkt, weil einst angesehene Geldhäuser plötzlich aufhörten, verlässliche Gegenparteien zu sein. Dank beherztem Eingreifen der Zentralbanken und Bankenrettungsprogrammen gelang es, den Kollaps des Finanzsystems abzuwenden. Wiederum löste die Krise eine Regulierungswelle aus. Diesmal traf es die Prüfungs- und Beratungsbranche allerdings kaum direkt, da sie bei der Entstehung des amerikanischen Immobilienbooms keine Rolle gespielt hatte. Indirekt aber zeitigte die neue Regulierung des Finanzsektors durchaus Folgen. Banken und Versicherungsunternehmen waren gezwungen, ihre internen Kontrollsysteme anzupassen, was neue Aufträge für die Unternehmensberatung generierte.

Für die Schweizer Ländergesellschaft von Ernst & Young – seit 2013 EY Schweiz genannt – sind deshalb die unruhigen Jahre seit Enron keineswegs eine Phase der Krise und Stagnation gewesen. Wohl ist das Umfeld volatiler geworden und zwingt die fortschreitende Regulierung zu schmerzhaften Anpassungen. Dennoch ist es EY Schweiz gelungen, zu wachsen, ohne das bisherige Geschäftsmodell über Bord werfen zu müssen. Noch immer bildet die Wirtschaftsprüfung die DNA des Unternehmens, und noch immer wird diese DNA mit expandierenden Beratungstätigkeiten weiter entwickelt. Auch am grundlegenden Ziel hat sich nichts geändert. EY Schweiz will die Kundenbedürfnisse optimal befriedigen, aber nur unter der Bedingung, dass die Unabhängigkeit der Prüfung und Beratung gewahrt bleibt. Vor hundert Jahren begann die Geschichte von EY Schweiz als Tochtergesellschaft einer Basler Grossbank, heute ist sie ein grosses eigenständiges Unternehmen, das selbstbewusst am Markt auftritt. Ihre Funktion als Vertrauensgenerator kann sie besser wahrnehmen denn je.

Fusion mit Arthur Andersen

Im Jahr 2001 teilten sich fünf Riesen der Wirtschaftsprüfungsbranche den Grossteil des Weltmarktes: PWC, Ernst & Young, KPMG, Deloitte und Arthur Andersen. Ein Jahr später war Arthur Andersen – eine weltweit tätige Firma mit 85’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – buchstäblich implodiert. Was war geschehen? Die Arthur Andersen LLP arbeitete als Revisionsstelle beim amerikanischen Energiekonzern Enron, seit dieser 1985 gegründet worden war. Enron betrieb Pipelines und handelte mit Gas und Elektrizität. Der Konzern beschäftigte gut 20’000 Mitarbeiter, wies im Jahr 2000 einen Umsatz von über hundert Milliarden Dollar aus und wurde von der Zeitschrift „Fortune“ sechs Jahre hintereinander als „America’s Most Innovative Company“ ausgezeichnet.

Im Jahr 1998 stieg der Preis einer Enron-Aktie um 89 Prozent, ein Jahr darauf um weitere 58 Prozent. Verantwortlich für diesen immensen Anstieg waren, neben dem im Börsenboom üblichen Schwarmverhalten von Investoren, geschönte Bilanzen. In Tochtergesellschaften mit Fantasienamen wie Jedi, Raptor oder Merlin, die teilweise widerrechtlich nicht in der konsolidierten Konzernrechnung aufgeführt waren, verbarg der Konzern Verbindlichkeiten in Milliardenhöhe. Gleichzeitig bewertete er schwer einzuschätzende Langzeitverträge über computergestützte Modelle enthusiastisch, um ausgewiesene Einnahmen zu erhöhen. Beide Praktiken liessen den Energiekonzern Enron profitabler erscheinen, als er war. Davon profitierte das Management persönlich, denn die variablen Saläre waren an die Aktienentwicklung gekoppelt. Das Kartenhaus stürzte im April 2001 zusammen, als Enron einen Gewinn auswies, obwohl die detaillierten Finanzzahlen auf Verluste hinwiesen. Die Unternehmensleitung musste die Zahlen korrigieren und gab schliesslich zu, 1995 bis 2000 zu hohe Gewinne ausgewiesen zu haben. Das war der Anfang vom Ende. Der Aktienkurs fiel gegen null und im Dezember 2001 musste Enron Insolvenz anmelden.

Mit ins Grab gezogen wurde die Revisionsstelle Arthur Andersen. Wie konnte Enron jahrelang Bilanzen fälschen, ohne dass es die Revisoren mitkriegten? Befragungen vor Gericht ergaben, dass sich Andersens Revisoren skeptisch gezeigt hatten gegenüber der Praxis mit den nicht konsolidierten Tochtergesellschaften Enrons. Trotz der Zweifel aber hielten die zuständigen Andersen-Partner an Enron als Kunden fest. Es kam ausserdem ans Licht, dass Arthur Andersen tonnenweise Aktenmaterial, das Enron betraf, vernichtet und entsprechende E-Mails gelöscht hatte. Dies führte im Mai 2002 zur Anklage wegen Behinderung der Justiz. Das Vertrauen in die Audit-Firma fiel auf der ganzen Welt ins Bodenlose. Mehr und mehr gingen Prüfungskunden verloren. Im Juni 2002 wurde das Unternehmen wegen Manipulation von Dokumenten strafrechtlich verurteilt. Zwar revidierten die Gerichte das Urteil drei Jahre später wegen Mangel an Beweisen. Aber das war irrelevant, denn Arthur Andersen existierte bereits nicht mehr.

Die Implosion von Andersen zeigt eindrücklich, wie stark Wirtschaftsprüfungsunternehmen von ihrer Reputation abhängen. Geht das Vertrauen der Kunden verloren, kann es schnell gehen, bis eine Revisionsgesellschaft vor dem Aus steht. Im Fall Arthur Andersen waren auch alle Tochtergesellschaften ausserhalb der Vereinigten Staaten betroffen, da sie ohne das internationale Netzwerk mit den USA als Hauptmarkt nicht überlebensfähig waren.

In der Schweiz beschäftigte Arthur Andersen gut 750 Mitarbeitende. CEO war der Steuerexperte Prof. Dr. Peter Athanas, der beim ehemaligen ATAG-Verwaltungsrat und Steuerrechtsprofessor Dr. Ernst Höhn an der Universität St. Gallen doktoriert hatte und danach bei Andersen Schweiz eingestiegen war. Auf die Frage, wie er die Hiobsbotschaft aus den USA wahrgenommen habe, meint Athanas im Gespräch: „Es war nicht eine Hiobsbotschaft, sondern eine nach der anderen. Wir in der Geschäftsleitung haben jede Nacht Szenarien von ,best case‘ bis ,worst case‘ aufgestellt. Als wir jeweils um fünf Uhr morgens begonnen hatten, die Medien zu lesen, war die Situation stets schlimmer als unser ,worst case‘. Es war eine Katastrophe.“ Als klar wurde, dass die Mutterfirma nicht überleben würde, musste sich Arthur Andersen Schweiz nach neuen Partnern umsehen. An Interessenten mangelte es nicht, denn die Firma hatte in der Branche einen sehr guten Ruf. Für ATAG-Verwaltungsratspräsident Widmer war klar, dass man mit Arthur Andersen falls möglich eine Verbindung eingehen sollte. Eine Kombination würde „ein eigentliches Powerhouse mit einer breiten Abstützung ergeben“. EY-International-Chef Rick Bobrow zufolge bot ein Zusammenschluss mit den Andersen-Gesellschaften für Ernst & Young die letzte Möglichkeit, in Europa ausserordentlich zu wachsen.

Auf erste Anfragen vonseiten Ernst & Young Schweiz ging die Firma Andersen aber nicht ein, denn zuerst verhandelte man auf europäischer Ebene mit der KPMG. Die Gespräche waren weit gediehen, verliefen aber zusehends schwierig und scheiterten letztlich. So gelangte man wieder an Ernst & Young. Die Voraussetzungen für einen gleichberechtigten Zusammenschluss fehlten in der Schweiz gänzlich: Ernst & Young war mit gut 1800 Angestellten massiv grösser als Arthur Andersen, die sich nach den abgebrochenen Verhandlungen mit KPMG in einer schwachen Position befand. „Ein übliches Verhalten wäre gewesen, Andersen vor die Wahl zu stellen: ‚Take it or leave it‘“, erinnert sich Andreas Müller, der neben anderen für Ernst & Young verhandelte. „Aber die Andersen-Mitarbeiter waren ausnehmend gut, und die Firma hatte sehr gute Kunden. Unsere Strategie war, dass wir diese Leute wirklich in unsere Firma integrieren wollten.“ So verliefen die Verhandlungen „knallhart, aber fair“, und nachdem die Wettbewerbskommission grünes Licht gegeben hatte, übernahm Ernst & Young im Rahmen eines Asset-Deals die notwendige Infrastruktur, jedoch keinerlei Verpflichtungen von Andersen Schweiz. Weltweit wurden 55 von 84 Arthur-Andersen-Ländergesellschaften Teil von Ernst & Young. Die meisten übrigen Andersen-Gesellschaften, darunter jene in England, Spanien und den Niederlanden, gingen mit Deloitte zusammen.

Um das Gelingen der Fusion in der Schweiz sicherzustellen, wurden Kader von Arthur Andersen auf höchster Ebene in die Führung von Ernst & Young integriert. Andreas Müller, der von den Partnern bereits zum Verwaltungsratspräsidenten gewählt worden war, verzichtete zugunsten von Peter Athanas auf dieses Amt, um die Balance in der Unternehmensleitung zu wahren. Dr. Urs Widmer trat zurück, weil er die intern festgelegte Altersgrenze erreicht hatte. In der Geschäftsleitung sassen neben den Ernst & Young-Partnern Peter Bühler, Ancillo Canepa, Stephan Hitz, Jürg Scheller, Dr. René Stauber und Andreas Müller (CFO) auch die ehemaligen Arthur-Andersen-Partner Stephan Kuhn und Ronald Sauser. CEO blieb Marcel Maglock.

Diese Konstellation währte aber nur kurz. Kein Jahr nach der Fusion kam es zu einem erneuten Wechsel in der Führung, nunmehr zwangsläufig: Ernst & Young hatte beim Rückzug von der Börse eines Kunden Partizipationsscheine bewertet. Per Zufall gelangte der CEO an die Information über den vorgeschlagenen Kaufpreis und schlug aus dem Wissensvorsprung Kapital. Als die Aktion aufgrund einer Börsenuntersuchung ans Licht kam, reagierte der Verwaltungsrat von Ernst & Young umgehend. Einstimmig beschloss er, sich per sofort von seinem CEO zu trennen, was im gegenseitigen Einvernehmen geschah. So kam es zur Rochade: Athanas wechselte vom Präsidium auf den CEO-Posten und der bisherige CFO Andreas Müller wurde doch noch Verwaltungsratspräsident. Der diplomierte Wirtschaftsprüfer übernahm 2001 bis 2003 auch das Präsidentenamt der Treuhand-Kammer. Marcel Maglock wurde anderthalb Jahre später wegen Insiderdelikten verurteilt. Unter der Führung von Peter Athanas und Andreas Müller wuchs aus den unterschiedlichen Kulturen von Ernst & Young und Arthur Andersen ein neues Ganzes. Die ATAG war stets eine kompetenzgetriebene Firma gewesen, die sich über gut ausgebildete Mitarbeitende definierte. Bereits Peider Mengiardi hatte die „intellektuellen Fähigkeiten und charakterlichen Eigenschaften“ der Angestellten als entscheidende Qualität in der Branche definiert. Dazu war die ATAG eine regional präsente Gesellschaft, die auf eine lange Tradition im schweizerischen Markt zurückblicken konnte und deren Kundensegment vom Kleinbetrieb bis zum Multi reichte. International war sie Mitglied des immer noch eher losen Ernst & Young-Verbundes.

Arthur Andersen Schweiz hingegen war die Tochter ihres amerikanischen Mutterunternehmens – und somit Teil einer international uniform aufgestellten Firma, deren Mitarbeiter auf der ganzen Welt eine einheitliche Ausbildung genossen. Gleichförmige Bildung und Zielstrebigkeit verliehen ihnen in der Branche gar den Spitznamen „Andersen Androids“. Kompetenz war also auch bei Arthur Andersen zentral. Der bedeutendste Unterschied zur ATAG bestand neben der internationalen Einheit darin, dass Andersen in der Marktbearbeitung aggressiver auftrat.

„Dieses Marktdenken der Andersen-Leute liess sich gut mit der Bodenhaftung und Kompetenz vereinen, welche die ATAG-Mitarbeiter auszeichnete“, erinnert sich Professor Athanas. Bei der um Arthur Andersen erweiterten Ernst & Young Schweiz wurde nun die Rolle der Partner neu ausgelegt: Als teuerste Arbeitskraft des Unternehmens sollten sie Arbeit eher delegieren statt selbst ausführen. Damit konnte man gleichzeitig tiefere Kader motivieren, indem man sie mit anspruchsvollen Aufgaben betraute. Ebenso sollten die Partner auch immer selbst Kunden betreuen und ihre Rolle nicht auf Führungsfunktionen reduzieren.

Der Staat greift durch

Die Unternehmenszusammenbrüche der frühen 2000er-Jahre hatten die Behörden auf den Plan gerufen. Das angekratzte Vertrauen der Öffentlichkeit in die Corporate Governance der Unternehmen, die Wirtschaftsprüfung und den Kapitalmarkt an sich – die Börsenkapitalisierung war in den USA zwischen März 2000 und Juli 2002 auf etwa die Hälfte zusammengeschrumpft – musste wieder hergestellt werden. Dazu erarbeiteten die amerikanischen Senatoren Paul Sarbanes und Michael Oxley innerhalb eines halben Jahres einen Gesetzesartikel: den Sarbanes-Oxley Act (SOX), der durch die Unterschrift von George W. Bush am 30. Juli 2002 in Kraft gesetzt wurde. Der SOX war die tiefgreifendste Regulierung des Kapitalmarkts, der Wirtschaftsprüfung und der Unternehmensführung in den USA seit den Gesetzen der 1930er-Jahre, die als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise erlassen worden waren.

In Bezug auf die Abschlussprüfung griff der Staat nun durch. Der SOX verschärfte die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Revisoren spürbar. Die parallele Durchführung verschiedener Nichtprüfungsdienstleistungen bei börsenkotierten Kunden, welche die SEC schon in den 1990er-Jahren eingeschränkt hatte, wurde nun stärker unterbunden. Auch sind die Verwaltungsräte von Unternehmen seither angehalten, einen Prüfungsausschuss (Audit Committee) zu bestimmen, der sämtliche Dienstleistungen der Revisionsgesellschaft vorab genehmigt. Ebenso muss der leitende Partner eines Revisionsmandates alle sieben Jahre gewechselt werden, und Revisionsstellen sind verpflichtet, das interne Kontrollsystem eines Unternehmens zu beurteilen. Mit der Einrichtung des Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB) wurde in den USA schliesslich der Übergang von der Selbstregulierung der Branche zur staatlichen Aufsicht eingeleitet. Denn die PCAOB beaufsichtigt jedes Revisionsunternehmen, das an amerikanischen Börsen kotierte Firmen prüft.

Die internationale Strahlkraft des SOX war enorm. Im Jahr 2006 folgte die 8. EU-Richtlinie, auch bekannt als EuroSox. Auch die Schweiz zog nach. 2007 wurde das Obligationenrecht angepasst und das Revisionsaufsichtsgesetz (RAG) trat in Kraft. Seither entscheidet in der Schweiz die Grösse unabhängig von der Gesellschaftsform darüber, ob ein Unternehmen zu einer ordentlichen oder einer eingeschränkten Revision verpflichtet ist. Die eingeschränkte Revision soll KMU vom administrativen und finanziellen Aufwand einer ordentlichen Revision entlasten. Mit der Revisionsaufsichtsbehörde (RAB) entstand ein schweizerisches Pendant zur PCAOB. Somit wurden nun nicht nur Revisionsstellen von Banken, sondern auch Firmen, die Publikumsgesellschaften prüften, der staatlichen Aufsicht unterstellt. Die von der Treuhand-Kammer ausgeübte Selbstregulierung der Branche wurde also eingeschränkt, sie spielt jedoch im Bereich des Berufs- und Standesrechts weiterhin eine bedeutende Rolle. Die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Revisoren wurden auch hierzulande verschärft. Dabei wurden die Regeln für paralleles Erbringen von Prüfungs- und Beratungsdienstleistungen beim selben Kunden klarer festgelegt. Solange eine Revisionsgesellschaft keine Zustände prüft, zu deren Entstehung sie mittels Beratung selbst beigetragen hat, bleiben die Dienstleistungen bei mittelständischen Firmen vereinbar. Börsenkotierte Unternehmen kommen jedoch in der Regel als Prüfungs- oder Beratungskunden infrage. Dies führte zu einer gewissen Entkopplung von Prüfung und Beratung, die nicht unproblematisch ist. Da Prüfungsaufträge viel weniger lukrativ – dafür risikoreicher – sind als Beratungsmandate, müssen Wirtschaftsprüfungsfirmen abwägen, ob sie Grosskunden als Prüfer oder als Berater betreuen wollen.

Insgesamt erwies sich die Regulierung für die Branche als vorteilhaft, denn die Unabhängigkeit der Revisoren und die Bedeutung der Prüfergesellschaften wurden nachhaltig gestärkt. Kurzfristig entstanden nach dem SOX zwar Anpassungskosten, und Ernst & Young trennte sich wegen Unabhängigkeitsanforderungen von der ausgezeichnet arbeitenden Pensionskassen-Beratungsfirma Libera, die man Anfang der Neunzigerjahre erworben hatte. Dafür verhalf die Einführung interner Kontrollen bei börsengelisteten Firmen zu neuen Beratungsaufträgen. Das multidisziplinäre Dienstleistungsangebot von Ernst & Young konnte man erhalten. Explizit entschied man sich dazu, weiterhin Wirtschaftsprüfung und Risikomanagement, Steuerberatung, Rechtsberatung sowie Transaktionsdienstleistungen und Accounting Services unter einem Dach anzubieten – allerdings stets nach dem Grundsatz: „Was wir beraten, prüfen wir nicht.“

Auch stellte Ernst & Young den stürmischen Zeiten in der Prüfungsbranche ein Qualitätsversprechen entgegen. Es gelte, hiess es in einem im Geschäftsbericht 2001/2002 publizierten Interview mit EY Global-CEO Rick Bobrow, die Qualität der Dienstleistungen, die seit jeher das Fundament der Tätigkeiten von Ernst & Young gewesen sei, weiter zu verstärken. Nun änderte man den Firmenslogan von „From Thought to Finish“ in „Quality in Everything We Do“. Um diese Qualität sicherzustellen, wurden die internen Richtlinien verschärft. 2005 publizierte man einen weltweit einheitlichen Code of Conduct und überwacht seither die formelle Unabhängigkeit der Mitarbeitenden. So wollte man das nun explizierte Marktversprechen einhalten, Vertrauen als Mehrwert zu schaffen. Kaum ein Jahr nach dem Inkrafttreten des neuen schweizerischen Revisionsgesetzes ging in den USA die Investment Bank Lehman Brothers pleite; der Funke für eine bis heute nachwirkende Wirtschaftskrise war gezündet. Bei Ernst & Young bekam man die gekürzten Beratungsbudgets der Unternehmen zu spüren; Umsatz und Personalbestand gingen in den Jahren 2010 und 2011 zurück. Auch zahlte man einmal aus Angst vor einem Bankzusammenbruch Löhne frühzeitig aus.

Ebenso sorgte die Krise für Diskussionen über die Rolle der Wirtschaftsprüfung. In der EU wurde die Regulierung 2014 weiter verschärft. Unter anderem müssen grosse Konzerne neu nach zehn bzw. zwanzig Jahren nicht die verantwortlichen Revisoren, sondern die Revisionsstelle wechseln. Dahinter steckt die Intention, das de facto bestehende Oligopol der „Big Four“ aufzuweichen. Ausser Acht gelassen wird dabei, dass nur vier über zahlreiche Fusionen gewachsene Player über das weltweite Netzwerk verfügen, das zur Prüfung global tätiger Firmen notwendig ist.

Das Genfer Damoklesschwert

Die Integration von Arthur Andersen war für Ernst & Young eine glückliche Konsequenz der stürmischen 2000er-Jahre. Es gab auch eine weniger glückliche: Ernst & Young sah sich in der Angelegenheit um die Genfer Kantonalbank, die nur mit finanzieller Hilfe des Kantons vor dem Zusammenbruch bewahrt werden konnte, mit einer enormen Schadensersatzforderung konfrontiert.

Verantwortlichkeitsklagen waren in der Branche nicht neu; da die Revisionsstelle unter den Gesellschaftsorganen über die „deepest pocket“ verfügt, werden bei Konkursen oft Forderungen an die Prüfunternehmen gestellt. Bereits in der Zwischenkriegszeit hatte die Allgemeine Treuhand AG Reserven für solche Fälle angehäuft, später liess man sich versichern. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts aber nahmen Forderungen gegenüber Prüfungsunternehmen zu und im Jahr 2005 waren weltweit Klagen gegen die „Big Four“ in Höhe von über 50 Milliarden Dollar hängig. Die Summe hätte genügt, um die Branche mehrfach auszulöschen.

Dasselbe galt für Ernst & Young im „Fall Genfer Kantonalbank“. Am 28. Februar 2003 reichte der Kanton Genf gegen die Wirtschaftsprüfungsfirma eine Zivilklage in der Höhe von insgesamt 3’096’407’196 Franken ein. Wie konnte es dazu kommen? Die BCGE, 1994 aus der Fusion zwischen der Caisse d’épargne de la République et canton de Genève und der Banque hypothécaire du canton de Genève hervorgegangen, war bereits kurz nach ihrer Gründung ins Straucheln geraten, hatte aber zwischen 1996 und 1998 tadellose Bilanzen ausgewiesen, da sie faule Kredite aus der Rechnung ausgegliedert und auf entsprechende Rückstellungen verzichtet hatte. Das Bankhaus musste schliesslich gerettet werden. Dazu übernahm ein kantonaler Auffangfonds faule Papiere in Höhe von fünf Milliarden Franken. In der Folge kam es zu Klagen gegen den Verwaltungsratspräsidenten und das Management der Bank sowie gegen zwei Revisoren von Ernst & Young. Sie hätten in ihrer Prüfarbeit die Pflichten verletzt, lautete der Vorwurf. Internen und externen Einschätzungen zufolge war das Risiko eines Schuldspruches gross, weshalb man auf einen aussergerichtlichen Vergleich hinarbeitete. Der Fall hing wie ein Damoklesschwert über der Firma. „Es gab Leute, die nicht Partner werden wollten, aus Angst, dass sie ihr eigenes Kapital gleich an die Kläger weiterreichen müssten“, erinnert sich Bruno Chiomento im Gespräch. „Auch wussten die ehemaligen Andersen-Leute, dass es bei einer Professional Service Firm schnell gehen kann, bis man vor dem Nichts steht.“ Chiomento hatte auf Beginn des Jahres 2009 die Position als CEO und Country Managing Partner von Peter Athanas übernommen. Der studierte Ökonom aus Basel hatte Ende der 1980er-Jahre bei der ATAG als Wirtschaftsprüfer begonnen und in New York das Diplom des Certified Public Accountant (CPA) erworben. Im Januar 2012 reiste er nach Genf, um die Vergleichsverhandlungen mit den Klägern abzuschliessen. Nach jahrelangen rechtlichen Reibereien einigte man sich auf die Vergleichssumme von 110 Millionen Franken. Der Kanton Genf verzichtete im Gegenzug auf jegliche zivil- und strafrechtlichen Forderungen gegenüber der Revisionsgesellschaft. Es gelang, die Vergleichssumme mithilfe aller Parteien aufzubringen, ohne dass das Vermögen der Partner ausgelöscht wurde. Ernst & Young konnte dabei auf die Versicherung des internationalen Netzwerks und eine aus der Zeit vor 1998 stammende Rückstellung zählen.

Mit dem CEO-Wechsel erfuhren auch andere Führungsorgane Veränderungen. Neben Chiomento sassen ab 2009 Michael Riesen, Thomas Stenz, Stefan Amstad, Dominik Bürgy, Louis Siegrist und Willy Hofstetter in der Geschäftsleitung der Ernst & Young AG. An die Spitze des Verwaltungsrats der ATAG Ernst & Young Holding AG wurde Thomas Stenz als Nachfolger von Andreas Müller gewählt. Der ehemalige Andersen-Partner war auch Mitglied des Vorstands der Treuhand-Kammer und der Fachkommission Swiss GAAP FER. Die zwei anderen Verwaltungsräte waren Hans Isler und Georg Graf Waldersee.

„Kill the countries“

Der lange Schatten des Genfer Falls lag auch über dem weiter fortschreitenden Prozess der Integration zu einer globalen Firma. Das Jahr 2008 markierte in dieser Hinsicht eine entscheidende Veränderung: Insgesamt 87 Landesgesellschaften des internationalen Verbundes schlossen sich zu einer Einheit mit dem Namen EMEIA (Europe, Middle East, India, Africa) zusammen. Daneben entstanden die Regionen „Americas“, „Asia & Pacific“ und „Japan“. Von einer anfänglich geplanten kapitalbasierten Verbindung zwischen der schweizerischen ATAG Ernst & Young und der europaweiten EY Europe LLP wurde allerding abgesehen, denn man wollte verhindern, dass mögliche Verbindlichkeiten aus dem Genfer Rechtsstreit auf die internationale Gesellschaft übergingen. Die schweizerische Firma übertrug letztlich nur die Nutzniessung an den vom Partnerpool gehaltenen Aktien an die EY Europe LLP. Somit blieb das Kapital im Besitz der schweizerischen Partner, die Kontrolle aber ging an EMEIA über.

Mit diesem Schritt entwickelte sich Ernst & Young zum am stärksten international integrierten Prüfungs- und Beratungsunternehmen der „Big Four“. Die Schweizer Partner wurden nun zu EMEIA-Partnern, auch wurde ein globales Anreizsystem eingeführt. EMEIA vereinte bei der Gründung gut 62’000 Mitarbeitende, heute sind es 112’871. Sie ist mit Abstand die grösste der vier Regionen von EY Global mit einem heutigen Umsatz von 11’758’000 Dollar (EY Global: 29’626’000). Innerhalb von EMEIA bestehen wiederum verschiedene Einheiten. Die Financial Service Organisation (FSO) vereinte alle Mitarbeitenden Europas, die im Bereich Banken, Asset-Management und Versicherungen tätig sind, länderübergreifend in einer Organisation. Daneben existieren 12 Regionen, welche die übrigen Branchen abdecken, darunter GSA (Germany, Switzerland, Austria). Die schweizerische Gesellschaft war bei ihrer Aufnahme, ebenso wie heute, die sechstgrösste innerhalb von EMEIA, und belegt weltweit Platz 11.

Die internationale Integration machte es möglich, einheitliche Qualität auf globaler Ebene durchzusetzen. „Delivering seamless, consistent, high-quality client service, worldwide“, so wurde im Geschäftsbericht 2010 das Marktversprechen formuliert. Ausserdem lagen die positiven Skaleneffekte eines international integrierten Unternehmens auf der Hand. Die Integration bedeutete für die Landesgesellschaften aber auch eine Abnahme an nationaler Souveränität. „Kill the countries“ hiess die Devise des Chief Operating Officer von EY Global, John Ferraro. Die verstärkte Zentralisierung der Kompetenzen führte zum Beispiel dazu, dass die schweizerischen Partner ihren CEO nicht mehr selbst wählen konnten. Bruno Chiomento war der letzte gewählte Geschäftsleitungsvorsitzende, sein Nachfolger und aktueller CEO, Marcel Stalder, wurde – allerdings nach profunder Sondierung bei den Partnern – vom Executive Body von EMEIA eingesetzt. Für die Aufgabe der Selbstbestimmung liessen sich die Schweizer Partner entschädigen. Denn die ehemalige ATAG war im EMEIA-Verbund der grösste Netto-Exporteur von Honoraren. Viele Grosskunden von Ernst & Young hatten ihr Domizil in der Schweiz, waren aber mehrheitlich in ausländischen Märkten tätig. Die Aufwände der Kundenpflege fielen also hierzulande an, der Grossteil der Honorare wurde aber in anderen Ländern erarbeitet. Um dieses Missverhältnis zu beheben, konnte man für die Schweizer Partner Ausgleichszahlungen aushandeln; eine Sonderstellung der schweizerischen Gesellschaft, die im EMEIA-Verbund bis heute honoriert wird.

Wachstum dank Beratung

Die Subprime-Krise hatte erhebliche indirekte Konsequenzen für die Prüfungs- und Beratungsbranche. Denn ihr folgte eine eigentliche Flut von Regulierungen im Finanzsektor: Der im Juni 2010 von Barack Obama in Kraft gesetzte Dodd-Frank Act sollte mit seinen 541 Artikeln die Stabilität des Finanzmarktes wiederherstellen und Steuerzahler vor der „too big to fail“-Problematik bewahren. Auch in Europa wurden zahlreiche neue Gesetze verabschiedet. Die Institutionen des European System of Financial Supervision (ESFS) ­stärkten die Aufsicht über den Finanzmarkt und im Rahmen von Basel III wurden internationale Standards für neue Eigenkapitalrichtlinien erlassen. In der Schweiz erweiterte sich die Kontrolle des Finanzwesens 2009 durch die Gründung der Finanzmarktaufsicht (FINMA). Die sich noch immer im Fluss befindenden Regulierungen stellen Finanzdienstleister ebenso vor Herausforderungen wie die zur Krisenbekämpfung festgelegten rekordtiefen Leitzinse der Zentralbanken.

Die Umbrüche im Finanzsektor wurden für Ernst & Young in den letzten Jahren zu einem bedeutenden Wachstumstreiber. Bereits 2007 hatte man begonnen, „besondere Akzente auf den Advisory Service“ zu setzen. Sieben Jahre nachdem das klassische „Consulting Business“ an Cap Gemini veräussert worden war, begann man also wieder die Beratung zu stärken. „Wenn wir als Firma wieder wachsen wollen“, führte Verwaltungsratspräsident Thomas Stenz nach zwei mageren Krisenjahren im Frühjahr 2010 in der Geschäftsleitung aus, „so besteht das grösste Potenzial dazu bei Advisory.“

Das Potenzial konnte genutzt werden: Der Advisory-Bereich wuchs seither enorm, teilweise über 20 Prozent pro Jahr, während die Steuer- und die Rechtsberatung einstellige Wachstumsraten aufwiesen und die Wirtschaftsprüfung wegen des gesättigten Marktes stagnierte. Erarbeitete die Wirtschaftsprüfung 2006 beinahe zwei Drittel des gesamten Dienstleistungsertrags von Ernst & Young, so sind es heute noch gut 40 Prozent, „Advisory“ und „Tax and Legal“ machen je gut einen Drittel des Umsatzes aus. Es war vor allem der Bereich FSO Advisory, also Beratung für Finanzdienstleister, der mit einer Vervierfachung des Umsatzes zwischen 2010 und 2015 richtiggehend durch die Decke schoss.

Neben der Compliance-Beratung rückt das Feld der digitalen Transformation in den Fokus. Hier erweitert EY ihre Kompetenzen. Nachdem in Frankreich mit der Bluestone Consulting ein führendes Beratungsunternehmen im Bereich Big-Data-Analyse in EY integriert worden war und sich in Grossbritannien Seren, eine Beratungsfirma für digitales Design, Ernst & Young angeschlossen hatte, baute man 2015 auch in der Schweiz aus: Gut zwanzig SAP-Berater der Avenzia AG wurden in den Bereich Financial Services Advisory der Ernst & Young AG aufgenommen. Mit weiteren Zukäufen und Investitionen in die Mitarbeiter soll das Beratungsgeschäft im Bereich der Digitalisierung verstärkt werden.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Nachfolge Bruno Chiomentos an der Spitze der Geschäftsleitung der Leiter der Abteilung Financial Services antrat. Marcel Stalder ist seit 1. Juli 2016 CEO von EY Schweiz. Bruno Chiomento wechselte an die Spitze des Verwaltungsrats. Stalder begann seine Karriere 1986 als Lehrling bei der UBS, studierte später Betriebswirtschaft und kam 1996 zur ATAG Ernst & Young. Zwischenzeitlich arbeitete er bei EY in den USA, wo er auch das Diplom des Certified Public Accountant erwarb. 2005 wurde er Partner bei Ernst & Young Schweiz und leitete den Bereich Versicherungen und später das Beratungsgeschäft für Finanzdienstleister. Neben ihm gehören folgende zehn Partner zur neuen Geschäftsleitung: Louis Siegrist, Andreas Blumer, Stefan Marc Schmid, Alessandro Miolo, Patrick Schwaller, Matthias Bünte, Adrian Widmer, Daniel Gentsch, Thomas Brotzer und Stefan Rösch-Rütsche. Die Mitglieder des Verwaltungsrats sind neben Bruno Chiomento und Marcel Stalder Philip Robinson (Vertreter Industrieunternehmen), Andreas Blumer (Vertreter Finanzdienstleister) und Laurent Bludzien (Vertreter Westschweiz und Tessin). In den erweiterten Führungsgremien sind die Abteilungen Germany Switzerland Austria (GSA) und Financial Services Organisation (FSO) gleichmässiger vertreten. Dadurch soll erreicht werden, dass die beiden Einheiten im Lande näher zusammenrücken. Es gilt das Motto: One EY.

Diversität am neuen Arbeitsplatz

Nicht nur geschäftlich, auch personalpolitisch brachte das neue Jahrtausend einen starken Wandel. Dieser betrifft vor allem die Anzahl der weiblichen Mitarbeitenden. Die Treuhand- und Revisionsbranche war in der Schweiz lange Zeit eine absolute Männerdomäne. Erst 1980 wurde das erste Mal eine Frau diplomierte Bücherexpertin. Zögerlich erhielt der Wirtschaftszweig in den 1990er-Jahren ein weibliches Gesicht, sodass immerhin 17,3 Prozent der Kammer-Diplome für Bücher-, Steuer- oder Treuhandexperten 1994 an Frauen gingen. 2015 waren 29 Prozent der erfolgreichen Prüflinge für das Wirtschaftsprüfer-Diplom weiblich. Die Feminisierung des Berufes erfolgte in der Schweiz besonders spät. In den USA begannen bereits in den 1980er-Jahren merklich mehr Frauen in der Prüfungs- und Beratungsbranche zu arbeiten, in den osteuropäischen Ländern war der Beruf teilweise weiblich dominiert. Das bedeutet nicht, dass in den Treuhandgesellschaften früher keine Frauen beschäftigt wurden. Den frühesten Aufstellungen über die Zusammensetzung der Mitarbeitenden der Allgemeinen Treuhand zufolge arbeiteten im Jahre 1928 am Sitz Basel 31 Personen, davon „11 Damen“. Der noch kleine Sitz in Zürich hatte sechs Mitarbeitende, darunter „zwei Bureaufräulein und ein Lehrmädchen“. Es waren assistierende Positionen in den Büros, die von Frauen besetzt waren. Mit der Aufnahme der Lochkartensysteme kamen zur Sekretärin auch die Locherin und die Prüferin als klassische Formen weiblicher Beschäftigung hinzu. In führenden Positionen aber waren Frauen lange kaum vertreten. An die erste ATAG-Partnerversammlung von 1992 war gerade eine Frau eingeladen, was bei der Einladung, die immerhin an über hundert Mitarbeitende ging, die Anrede „Sehr geehrte Frau Salvi, sehr geehrte Kollegen“ rechtfertigte. Beim Partner-Buy-out von 1998 wurden drei Frauen Teilhaberinnen der Firma.

Im 21. Jahrhundert begann sich die Situation bei EY Schweiz zu ändern. Die Bildsprache des Berichts zum Geschäftsjahr 2001 legte erstmals Wert auf eine gleichberechtigte Darstellung von männlichen und weiblichen Mitarbeitenden. Wenige Jahre danach versuchte man mit der Initiative GROW (Growth and Retention of Women), Frauen vermehrt verantwortungsvolle Aufgaben zu übertragen. Mit flexiblen Arbeitsmodellen, einem „Mentor-System“ zwischen Partner und Mitarbeiterin und einer kostenlosen Kinderbetreuungsberatung sollte die Arbeit bei Ernst & Young für Frauen attraktiver werden. Im Geschäftsjahr 2016 waren 40 Prozent der Mitarbeitenden Frauen, und Frauen nahmen 12,5 Prozent aller Führungspositionen ein. Heute sind 19 der 142 Partner weiblich.

Nicht nur im Bereich Gender wurde die Belegschaft heterogener. Mittlerweile arbeiten bei EY Schweiz Menschen aus über 60 verschiedenen Nationen. Gut ein Drittel der Mitarbeitenden besitzt keinen Schweizer Pass. Diese Diversifizierung des Firmenpersonals ist nicht zuletzt Ausdruck eines starken Konkurrenzkampfes um qualifizierte Arbeitskräfte: „Especially in Europe we face a war for talent with a limited pool of skilled people and a strikingly more diverse labour market“, wurde 2006 an einer Partnerversammlung festgehalten.

Neben der Belegschaft selbst veränderte sich auch das Arbeitsumfeld vieler Angestellter. In Zürich wurden im Jahr 2011 die bisherigen drei Standorte am Bleicherweg (ehemaliges ATAG-Haus), am Stauffacher und an der Brandschenkestrasse in ein neues Gebäude zusammengelegt. 1100 Mitarbeitende verlagerten ihren Arbeitsplatz in die „platform“, einen siebenstöckigen Glasbau nach Minergie-Standard neben dem Zürcher Prime Tower am Bahnhof Hardbrücke. An die Stelle des klassischen Büros ist das flexible „Hoteling-System“ getreten: Viele Mitarbeitende arbeiten an offenen, nicht personalisierten Arbeitsplätzen, für Telefongespräche stehen Kabinen zur Verfügung. Die „platform“ dient mittlerweile 1489 Frauen und Männern – 56 Prozent aller Angestellten von EY Schweiz – als Arbeitsort.

Der Kontrast zu den Anfängen von EY Schweiz könnte nicht grösser sein. Vor hundert Jahren gingen ein paar Schweizer Männer in Anzügen in einem Raum der Basler Handelsbank ihren Geschäften nach. Sie benutzten Bleistifte, Tintenfüller, Schreibmaschinen und eine Menge Papier. Ab und zu tätigten sie einen Telefonanruf, der ein Vermögen kostete. Heute arbeiten Frauen und Männer aus verschiedenen Ländern in einer offenen Umgebung, die von lockeren Umgangsformen und flachen Hierarchien geprägt ist. Mitarbeitende auf allen Ebenen duzen einander, moderne Kommunikationsmittel ermöglichen den konstanten Wissensaustausch auf internationaler Ebene in Echtzeit. Diesem Trend entsprechend, verwendet EY seit 2013 den Wahlspruch: „Building a better working world.“